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Rezension: Kann mir bitte jemand das Wasser reichen-#Ari_Turunen

Der Autor dieses äußerst aufschlussreichen Buches ist der finnische Wirtschaftsjournalist Ari Turunen. Er hält an Hochschulen und im Rundfunk Vorträge über kulturgeschichtliche Themen. In seinen Büchern analysiert er die Kuriosa westlicher Kulturgeschichte. Zuletzt hat er ein Buch über die Geschichte der Eisbecher verfasst. 

Übersetzt wurde die vorliegende kurze Geschichte der Arroganz seitens Gabriele Schrey-Vasara, die 2008 mit dem finnischen staatlichen Übersetzerpreis geehrt wurde. 

Das Werk ist in sechs Kapitel untergliedert. Diesen Kapiteln ist ein knappe Einleitung vorangestellt, die ihren Anfang mit einer sehr klugen Sentenz nimmt, die gewissermaßen die Kernwahrheit dieses Buches darstellt: "Nichts ist gefährlicher für den Menschen, als im Moment des Erfolgs der Arroganz anheimzufallen und sich für gottgleich zu halten." 

Turunen erwähnt in der Einleitung die von mir hochgeschätzte Historikerin #Barbara_Tuchmann. Diese nennt vier Verhaltensweisen, die in der Regel zu Scheidungen, Kündigungen, Kriegen und Katastrophen führen. Aufgezählt werden: Tyrannisches Benehmen, maßloser Ehrgeiz, durch Macht ausgelöste Dekadenz und Unfähigkeit, sowie Starrsinn. 

Der Autor forschte für sein Werk in den Annalen der Geschichte und zeigt Stellen auf, an denen ein lächerlicher, geringfügiger Anlass Veränderungen ausgelöst hat. Er sucht katastrophale Wendepunkte der #Arroganz, Momente die auf unterschiedliche Art die Welt verändert haben. Dabei kann hinter solchen Momenten Geringschätzung, übermäßiges Vertrauen in die eigene Vortrefflichkeit, kulturelle Überheblichkeit oder durch Monopolstellung verursachte Selbstgefälligkeit stehen. 

In besagten Situationen werden die Spannungen unerträglich. Dann genügt eine arrogante Tat oder aber auch Bemerkung, um die Konstruktion zum Einsturz zu bringen. Auf die einzelnen Beispiele im Buch näher einzugehen, führt zu weit. Man liest über das Phänomen des Zukopfsteigens, liest darüber dass von der Macht berauschte Personen ihren eigenen Wert aufbauschen, arrogant sind, bevormunden, sich in alles einmischen, anstelle zu delegieren. Solche Leute sind abhängig vom Lob und beanspruchen den Ruhm für Leistungen anderer für sich, legen jedoch den anderen die eigenen Fehler zur Last. Solche Zeitgenossen macht Kritik rasend und sie können ihre Fehler und Schwächen nicht eingestehen. Überbesorgt ist ein solcher Mensch um seine Öffentlichkeitswirkung und idealisiert die materiellen Zeichen des Erfolgs. 

Diese Personen werden durch den Erfolg  stark verändert und zwar bis hin zum Realitätsverlust, wie an Beispielen gezeigt wird. Menschen in Machtpositionen, so Untersuchungsergebnisse, sprechen mehr und nehmen sich, was sie wollen. Wer Macht bekommt, benimmt sich abweisender und gewöhnt sich daran, alle Situationen und Menschen zur Befriedigung seiner eigenen Bedürfnisse zu nutzen. 

In großen Gruppen spricht die Mehrheit selten, weil ihr Status gering ist. Führungspersonen werden aufgefordert mehr zu sprechen. Personen mit niedrigem Status werden zum Schweigen verdammt. Dominiert der Anführer einer Gruppe zu stark, verbinden sich die Schwachen, um den Arroganten zu stürzen. Es kommt zur Bildung einer neuen Gruppe und das Spiel beginnt von neuem. 

Ich teile mit dem Autor die Meinung, dass das eifersüchtige Herausstreichen des eigenen Ego ein Grund für Gewalttaten und viele Kriege ist. "Wenn das Ego zu sehr anschwillt, entsteht Größenwahn und Schwerhörigkeit. Fehler werden nicht zugegeben und andere Menschen werden herabgemindert.“ 

Auch hier wieder werden Beispiele aus der Geschichte zur Veranschaulichung angeführt. Man staunt von Seite zu Seite mehr, wie sehr Menschen von ihrer Macht berauscht sein können und wundert sich nicht, wenn Turunen resümiert, dass es allen Imperien letzten Endes schlecht geht, weil sie gierig werden und ihre Größe als selbstverständlich erachten. Das hat zumeist verhängnisvolle Folgen. 

Es führt zu weit,  auf all die Fakten im Buch einzugehen und all die eigenartigen Verhaltensmuster von Personen in den Machtpositionen hier zu skizzieren. Klar ist, Hochmut kommt noch immer vor dem Fall.

Anhaltender Erfolg ist eine Frage von Demut. Wer stattdessen pausenlos vergleicht, immerfort in Verteidigungsbereitschaft ist, ständig seine Vortrefflichkeit herausstreicht und pausenlos den kollektiven Applaus einfordert, der wird keinen Erfolg auf Dauer haben. 

Nachhaltiger Erfolg nämlich beruht auf Humanismus und bedingt Toleranz. Er würdigt das Wissen und sperrt sich gegen Hochmut, weil dieser den Untergang im Schlepptau hat. Große Reiche sind an der Hybris ihrer Herrscher zerbrochen und viele Köpfe rollten in Revolutionen, weil nicht begriffen wurde, dass Arroganz stets das Todesurteil impliziert.

Sehr empfehlenswert

Helga König

Bitte klicken Sie auf den Link, dann gelangen Sie zu Nagel & Kimche und können das Buch bestellen. Sie lönnen es aber auch direkt bei ihrem Buchhändler um die Ecke ordern.http://www.hanser-literaturverlage.de/buch/kann-mir-bitte-jemand-das-wasser-reichen/978-3-312-00671-7/

Rezension: Die Mutmacherin- Jacqueline Bakir Brader- KoRosNord

Selten hat mich in den letzten Jahren eine Autobiographie so sehr in ihren Bann gezogen wie Jacqueline Bakir Braders "Die Mutmacherin". Die Autorin verdeutlicht hier, wie ein Mensch gestrickt sein muss, der gegen alle Widerstände erfolgreich seinen eigenen Weg geht, indem er Probleme intelligent und mutig zu meistern versteht. 

Das Vorwort zu ihrer Lebensbetrachtung hat der Textilunternehmer Kemal Sahin verfasst. Er  ist Träger des Bundesverdienstkreuzes. Seine Vita skizziert  die Autobiographin zu Ende des Buches. Dort erfährt man, dass Sahin in Aachen einst ein Hochschulstudium absolviert hat und sich im Anschluss selbstständig machte, um der drohenden Abschiebung zu entgehen, weil ihm die Behörden die Arbeitserlaubnis verweigerten. Sein 1982 gegründetes Unternehmen weist heute 1,2 Milliarden Euro Jahresumsatz aus. Weltweit beschäftigt dieser Mann 12. 000 Mitarbeiter, zudem engagiert er sich an vielen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Projekten.  

Auf einer Wirtschaftstagung des Verbandes türkischer Unternehmer und Industrieller in Europa lernte  Jacqueline Bakir Brader diesen Mann kennen. Das war im Jahre 2011. 

Zu diesem Zeitpunkt hatte die türkische Migrantentochter bereits harte Jahre hinter sich gebracht. Nichts deutete in ihrer Kindheit darauf hin, dass sie später einmal eine gebildete, erfolgreiche Unternehmerin sein würde, die Migration als Chance begreift und heute anderen Mut macht, ebenfalls Erfolg als Lebensmaxime zu wählen.  

In Ostanatolien geboren, wird sie mit ihrer Familie nach Deutschland übersiedeln, weil ihr Vater seit 1969  als "Gastarbeiter" in Deutschland arbeitet.  In dieser Region der Türkei war es damals eher unüblich, dass Mädchen eine Schule besuchten. 

Noch heute gibt es in der Türkei  fünf Millionen Analphabeten, vier Millionen davon sind erschreckenderweise Frauen. 

Jacqueline  Bakir Brader erzählt wie sie nach Deutschland kam, welche Probleme sie als Kind und Heranwachsende in ihrer Familie hatte, weil sie die deutsche Sprache perfekt erlernen und sprechen wollte, um nicht als Außenseiterin zu gelten. Sie schreibt von ihrer Zeit am Gymnasium und dem Ärger mit ihrem Vater, der sie mehrfach  körperlich misshandelte, nachdem  sie sich seinen rigiden Regeln widersetzt hatte.

Die lernwillige, junge Türkin, die damals in Delmenhorst lebte, schreibt, dass man bis in die 1980er Jahre hierzulande die Migranten sich selbst überließ und diese sich deshalb eine eigene Welt schufen, die heute nicht selten als "Parallelgesellschaft" abgewertet wird. 

Weil das Mädchen von ihrem Vater verboten bekam, zuhause Deutsch zu sprechen, nahm sie zunächst in der Schule am mündlichen Unterricht kaum teil. Aufgrund eines Ereignisses in der Schule, über das man im Buch Näheres erfährt, überwindet  sie diese Sprachhemmung im Alter von 12 Jahren vollständig.

Das Gastarbeiterkind glänzt durch Bestleistungen am Gymnasium und hat keine Probleme, in der Clique gleichaltriger Teenager ohne Migrantenhintergrund akzeptiert zu werden. Die 16 jährige "Güller", die in ihrer Clique "Jacqueline" genannt wird, befürchtet in jener Zeit eine Zwangsverheiratung als Disziplinierungsmaßnahme ihres Vaters, als dieser von ihrer Freundschaft mit einem 17 jährigen Deutschen erfährt.  Wie schon erwähnt,  prügelt ihr Vater sie mehrfach. Sie flieht schließlich nach Wilhelmshaven, wo sie in der Bahnhofsmission nach Hilfe sucht und einen Nervenzusammenbruch erleidet. 

Jacqueline kommt in einem Frauenhaus unter. Dort suchen übrigens alljährlich in Deutschland 45 000 Frauen Schutz. Sie besucht weiterhin die Schule und macht ein sehr gutes Abitur. Von ihrem Vater wird sie fortan lange Zeit wie eine Aussätzige behandelt. 

Sie findet nach einem missglückten Selbstmordversuch einen Weg sich nach dem Abitur weiterzubilden und zwar im Bereich Finanzdienstleistungen. Rasch macht sie Karriere und entscheidet sich in der Folge zur Selbstständigkeit. Nun gründet sie zunächst eine kleine Immobilienfirma in Wilhelmshaven..... 

Wie es dann weitergeht, möchte ich hier nicht erzählen, um die Neugierde auf diesen Lebensbericht nicht zu mindern. 

Ich staunte bis zur letzten Seite und staune immer noch  über den Mut und den ungeheuren Biss dieser Selfmade-Frau, die gegen alle Widerstände Karriere machte, drei Firmen führt, Mutter von drei Töchtern ist, eine Krebserkrankung überwunden hat und sich darüber hinaus noch als Coach ausbilden ließ, um Seminare zu geben, die Menschen dazu verhelfen, dass  sie sich Zugang zu unbewussten Kräften und Ressourcen verschaffen können, damit ihnen mehr Wahlmöglichkeiten im Erleben und Handeln zur Verfügung stehen.

Ich habe großen Achtung vor Jacqueline Bakir Braders bisheriger Lebensleistung und ihrer grandios gelungenen Integration. Diese intelligente, attraktive Frau ist eine Kämpfernatur, die die Gabe besitzt, anderen wirklich Mut zu machen, weil sie durch ihr Leben beweist, dass vieles erreichbar ist, wenn man diszipliniert an seinen Zielen arbeitet und sich nicht einschüchtern lässt, selbst von einer Krankheit nicht. 


Sehr empfehlenswert. 

Helga König  

Das Buch ist überall im Handel erhältlich. 
ISBN 978-3-9812863-9-1

Sie können aber auch hier bestellen: http://www.bakirbrader.de/

Rezension: Die Nachrichten- Eine Gebrauchsanweisung- Alain de Botton- Fischer

Der Autor dieses bemerkenswerten Buches wird seitens des Verlags als Kosmopolit und phantasievoller Flaneur der Kultur- und Geistesgeschichte vorgestellt. Er arbeitet an einer Philosophie unseres Alltagslebens, hat zahlreiche Bücher verfasst und in London die "School of Life" sowie "Living Architecture" gegründet. Zahlreiche Preise dokumentieren seine Fähigkeiten als Autor. 

"Die Nachrichten- Eine Gebrauchsanweisung" wurde aus dem Englischen von Barbara von Bechtolsheim übersetzt. Das Buch ist als eine Bestandsaufnahme, als eine Phänomenologie einiger Begegnungen mit Nachrichten gedacht. Gebaut ist es um Nachrichtenzitate, die aus verschiedenen Quellen ausgewählt und bewusst genauer analysiert wurden. 

Der Autor hält die Definition von Nachrichten gezielt vage. Gefragt wird nicht nur nach den Nachrichten von heute, sondern es wird auch die Vorstellung untersucht, was aus ihnen eines Tages werden könnte. 

Untergliedert ist das Buch in mehrere Rubriken als da sind: Politik, Ausland, Wirtschaft, Prominenz, Katastrophen, Konsum. Zum Schluss dann zieht Alain de Botton ein Fazit. 

Auf die vielen Facetten des Buches einzugehen, führt zur weit. So lese ich irgendwo den Satz "Was wir gewöhnlich Langeweile nennen, ist nur ein selbsterhaltender Reflex des Verstandes, der Information ablehnt, die er nicht einzuordnen vermag" und stimme sofort zu. Zusammenhänge herzustellen, ist also wichtig, sofern man Ablehnung der Information seitens des Verstandes verhindern möchte. 

Über Tatsachen und Meinungen liest man und auch darüber, dass in ernsthaften journalistischen Kreisen Meinungen einen schlechten Ruf haben, weil man  sie mit  Missgunst, Lügen und autoritäres Bestreben assoziiert und demnach mit dem Willen, dem Publikum die Freiheit der eigenen Meinungsbildung zu verwehren.

Es bestehe ein Mangel an gut koordinierten, destillierten und kuratierten Nachrichten heutzutage. Widersprüchlich seien die Eindrücke, was im Land tatsächlich geschehe und es gäbe derart viele Versionen der Realität, dass man unmöglich von einem Land sprechen könne, als sei es eine eindeutige Angelegenheit. Deshalb auch können die Medien als maßgebliche Porträtmaler der Realität auftreten. Sie gestalten durch ihre Wahl der Geschichten die Wirklichkeit. 

Damit hat der Autor nicht Unrecht. In dieser Gegebenheit läge enorme und ungeahnte Macht:"die Macht, das Bild, das die Menschen sich voneinander machen, zu prägen; die Macht, zu diktieren, was wir von "anderen" halten; die Macht ein Land in der Phantasie entstehen zu lassen."

De Botton fragt u.a., weshalb sich die Medien auf das negative konzentrieren, wo doch der Abstieg eines Landes durch die durch  Medien hervorgerufene klinische Depression beschleunigt werde.

Angst und Wut werden offenbar durch die Medien geschürt. Der Autor zeigt an vielen Beispielen aus unterschiedlichen Bereichen das Spiel mit der Wahrheit. Nachrichtenfotos stellen ein weites Feld dar. Das gibt es die Bestätigungsbilder, die etwas untermauern und die Enthüllungsfotos, die das Wissen qualitativ vermehren. Insofern Klischees in Frage stellen. 

Man liest weiter von Wirtschaftsnachrichten und Nachrichten über Investoren, von Prominenz und weshalb Promi-Nachrichten ein ernstzunehmendes und respektables Medium sein soll, durch das wir über uns selbst hinauswachsen. 

Interessant sind auch die Betrachtungen im Hinblick auf die Kulturnachrichten, dabei sollte der Kulturjournalist aus den vielen Werken die wählen, die dem Publikum wohltun. Das anspruchsvolle Feuilleton als therapeutische Hilfe? Warum eigentlich nicht? 

Wie politische u. internationale Nachrichten, auch Wirtschafts- und Promi-Nachrichten, Katastrophen und Verbrauchernachrichten idealtypisch ausschauen sollten,   erfährt man zum Schluss. Hier teile ich, wie auch in vorangegangenen Betrachtungen  in vieler Hinsicht die Meinung de Bottons. 

Das Buch sensibilisiert für das, was wir täglich an Information aufnehmen und lässt uns vorsichtig werden im Hinblick auf die Nachrichtenflut, die Standpunkte  zur Unmöglichkeit werden lässt. Alles wird beliebig und eine Frage der Blickwinkel. Meinungsbildung wird tatsächlich  zum Problem.

Empfehlenswert.

Helga König

Bitte klicken Sie auf den Link, dann gelangen Sie zu den S. Fischer-Verlagen und können das Buch bestellen:http://www.fischerverlage.de/buch/die_nachrichten/9783596032464.

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Rezension: Etwas mehr Hirn, bitte- Gerald Hüther- Vandenhoeck & Ruprecht

Der Autor dieses Buches ist Prof. Dr. rer. nat. Dr. med. habil. Gerald Hüther. Er ist Neurobiologe an der Universität Göttingen. Sein wissenschaftliches Interesse gilt dem Einfluss früher Erfahrungen auf die Hirnentwicklung, mit den Auswirkungen von Angst und Stress sowie der Bedeutung emotionaler Reaktionen. 

Sein Augenmerk gilt der Schaffung günstiger Rahmenbedingungen für die Entfaltung der in jedem Menschen angelegten Potentiale. Sein Buch ist "eine Einladung zur Wiederentdeckung der Freude am eigenen Denken und der Lust am gemeinsamen Gestalten". 

Das überaus spannend zu lesende Werk ist in drei große Teile untergliedert: 

Teil 1: Das Leben als erkenntnisgewinnender Prozess 
Teil 2: Die Strukturierung des menschlichen Gehirns durch soziale Erfahrungen 
Teil 3: Potentialentfaltung in menschlichen Gemeinschaften

In der Einleitung packten mich die Sätze: "Die Freude am Selber-Denken und am gemeinsamen Gestalten verschwindet bei keinem Menschen von allein. Sie kann nur durch leidvolle Beziehungserfahrungen verloren gehen." Die gute Nachricht dann: "Aber jeder Mensch kann sie wiederentdecken, selbst dann, wenn er schon alt geworden ist.." Voraussetzung sind neue Erfahrungen.

Was nun hat dies alles mit Biologie zu tun? 

Hüther schreibt über Prozesse, die im Hirn stattfinden, erwähnt neu entstehende Nervenzellenverknüpfungen und fragt,  woran sich unser Denken orientiert. Soviel nur: an anderen Menschen und wenn diese Menschen neugierige Kinder demotivieren, dann wird deren Lust am eigenen Denken verdorben, dann gibt es keine neuen Erfahrungen, keine neuen Erkenntnisse und keine neuen Nervenzellenverknüpfungen. 

Hüther erläutert, was unsere Suche nach Erkenntnis antreibt und schreibt auch darüber, wie wir reagieren, wenn wir in Gefahr geraten und weshalb wir dann auf unsere Instinktprogramme zurückgreifen. Sobald sich Angst in uns ausbreitet, können wir übrigens keine angemessenen und tragfähigen Lösungen zur Überwindung von Bedrohungen oder Abwehr von Gefahren entwickeln. 

Besonders kreativ ist nach Hüther ein Mensch dann, wenn er keine Angst mehr hat. Dann nämlich erkundet man spielerisch, was möglich ist, "was man sich so alles ausdenken, was man machen und was man dabei alles lernen kann." 

Um Probleme zu lösen, muss man Angst überwinden und das geschieht am besten, in Gemeinschaften, in denen man sich geborgen fühlt. Wer sein Hirn primär dazu nutzt – aus Angst vor dem Du- sich abzugrenzen oder seine Interessen auf Kosten anderer durchzusetzen, wird keine großen Erkenntnisse erlangen, wird sich geistig nicht nennenswert weiterentwickeln. 

Der Autor verdeutlicht,  wie man zur eigenen Erkenntnis gelangt. Sofern dies durch Nachdenken geschieht, sind die im Gehirn ablaufenden Vorgänge andere wie jene, die im Zuge von einfachen Lernprozessen angeeigneten Wissensinhalten geschehen. Hüther thematisiert auch,  an welchen Erkenntnissen wir uns orientieren können und zeigt vier Grundüberzeugungen auf, die unser eigenes Selbstverständnis und unsere eigenen Beziehungen zu anderen Lebewesen gegenwärtig noch bestimmen. 

In diesem Zusammenhang unterstreicht er, dass Lebewesen keine Maschinen sind, denn sie sind fähig stets dann, wenn es zu einer Störung des inneren Beziehungsgefüges kommt, diese fast immer aus sich selbst heraus beheben. Das gelte für die einzelne Zelle und für alle lebenden Systeme. 

Es sind innere Muster, die für den Zusammenhalt eines Sozialgebildes sorgen und die ständig weiterentwickelt werden. Hüther erläutert, weshalb Wettbewerb nicht die Triebfeder von Weiterentwicklung ist, sondern lebende Systeme nur zur fortschreitenden Entwicklung zwinge. Allerdings gibt es neben Wettbewerb noch eine zweite Strategie zur Problembewältigung: Alle Lebensformen sind, so Hüther,  in der Lage,  in ihrem Inneren Potentiale anzulegen und bereitzuhalten, die zunächst keine praktische Bedeutung für die Lebensbewältigung haben. Diese inneren Potentiale bieten Schutz vor Hunger, Not, Elend, Selektionsdruck und Leistungszwang, weil das Gehirn nicht nur eine Kümmerversion dessen ist, wozu es wird, wenn keine Potentiale angelegt sind, mittels derer man Probleme lösen kann. 

Falls es sich noch nicht herumgesprochen hat: "Kein lebendes System existiert für sich allein. Es ist immer mit anderen Lebensformen verbunden und kann nur leben und sich weiterentwickeln inmitten von anderen, die auch am Leben bleiben, wachsen und sich fortpflanzen wollen.".

Weil das so ist und weil eine gewisse Anpassung notwendig ist, kann sich das angelegte Potential niemals vollständig entfalten. Hüther nennt Bedingungen, die ungünstig zur Potentialentfaltung sind und zeigt,   wann Lebensformen ihre ursprüngliche Entwicklungsdynamik verlieren und unflexibel werden, doch er erläutert auch jene Strategie, die zum Gegenteil führt.

Im zweiten Teil des Buches erfährt man zunächst, was man unter Kohärenz zu verstehen hat. Es ist der Zustand, der Annäherung an den Zustand des Gleichgewichts im Gehirn, wo alles relativ störungsfrei, ohne große innere Konflikte und Widersprüche abläuft. 

Es gibt eine einfache Lösung, um Kohärenz zu erlangen und diese ist Ignoranz (Verdrängung). Auf diese Weise arbeitet das Gehirn im Energiesparmodus. Doch das geschieht nur eine begrenzte Zeit. Besser aber ist es, über wirkliche Problemlösungen nachzudenken. Man erfährt in der Folge mehr zur vorgeburtlichen Strukturierung neuronaler Netzwerke im sich entwickelnden Gehirn. Lernen und Sich- Entwickeln sind voneinander nicht trennbar. Schon vorgeburtlich gibt es Bedingungen und Faktoren, die die Entwicklung fördern oder behindern. 

Im Rahmen der Überlegungen zur Strukturierung des kindlichen Gehirns durch eigene Erfahrungen erfährt man, dass sicher  in Gemeinschaften  eingebundene Kinder sehr aufmerksam und interessiert die kleinen und großen Dinge um sich herum entdecken und studieren, weil sie die Gewissheit haben, dass ihnen ihm Notfall geholfen wird. Ein Kind braucht ein Umfeld, dem es vertrauen kann, um sich zu entwickeln. Man muss ihm das Gefühl geben, wichtig zu sein. Kinder, die ihr angeborenes Grundbedürfnis nach Wachstum, Autonomie und Freiheit nicht stillen können, haben später ein Problem. 

Kinder, die von ihrem Umfeld nicht gesehen werden, übernehmen bereitwilliger die Vorstellung von anderen, so Hüther, um dazu zu gehören. Auf diese Weise verlieren sie die Freude am eigenen Denken. 

Man erfährt in der Folge mehr über die Strukturierung des menschlichen Gehirn durch die transgenerationale Weitergabe von Erfahrung und auch, worauf es wirklich ankommt: "Auf Vertrauen, auf wechselseitige Anerkennung und Wertschätzung, auf das Gefühl und auf das Wissen, aufeinander angewiesen, voneinander abhängig und füreinander verantwortlich zu sein." 

Ich stimme mit Prof. Hüther überein, dass es darauf ankommt, dass jeder seine Begabungen entfalten kann, um so zum kollektiven Potential beizutragen. Wie der Autor in diesem Zusammenhang hervorhebt,  bedeutet kreativ sein "nicht in erster Linie, Neues zu erfinden, sondern das bereits vorhandene, aber bisher voneinander getrennte Wissen auf neue Weise miteinander zu verbinden." 

Wer aus dem Kreislauf von Krisen herauskommen will, sollte sich in Transformation üben, denn sie bilden die Lösung für dieses Dilemma. Eine gute Nachricht ist es, dass mittels neuer Erfahrungen einmal entstandene neuronale Verschaltungsmuster umgebaut werden können und zwar zeitlebens. 

Im dritten Teil dieses erkenntnisreichen Buchs geht es um die Potentialentfaltung in menschlichen Gemeinschaften. Hier gilt es festzuhalten, dass das Gehirn ein soziales Konstrukt ist. Potentialentfaltung gelingt, wenn man einen neuen Weg beschreitet, in dem Subjekt-Subjekt-Beziehungen  gelebt werden. Sie verhelfen zur Wiederentdeckung der Lust am eigenen Denken und gemeinsamen Gestalten. Notwendig ist ein Transformationsprozess in Wirtschaft und Gesellschaft, weg vom Gegeneinander, hin zum Miteinander. 

Was mir das Buch verdeutlicht hat? Eine gut funktionierende Leistungsgesellschaft in der Zukunft beruht nicht auf Wettbewerb, sondern auf Potentialentfaltung vieler für eine Gemeinschaft glücklicher Menschen. Selbstdenken macht glücklich!

Sehr empfehlenswert. 

Helga König

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