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Rezension: Wir informieren uns zu Tode- Gerald Hüther, Robert Burdy- Herder



Die Autoren dieses Buches sind der Neurobiologe Gerald Hüther und der Journalist Robert Burdy. Der Titel ihrer Publikation erinnert nicht grundlos an das in den 1980er Jahren erschienene, wichtige Werk von Neil Postman mit dem Titel "Wir amüsieren und zu Tode." Besagtes Buch war eine Klageschrift gegen die Medien, speziell gegen das Fernsehen, das mit seinen Bildern und inhaltlichen Verflachungen die Urteilsfähigkeit der Bürger einschränke und zu einer fast epidemischen Sinnbefreiung von Politik und Kultur beitrage, so Postman.

Nun aber geht es um neue Informationstechnologien, deren Nutzung sich offenbar verselbstständigt hat. Die Autoren gehen in ihrem Werk den Fragen nach, wie wir wieder zu unserer eigenen Gestaltungskraft zurückfinden und wie wir zu gemeinsamen Vorstellungen gelangen, entlang derer wir unser Leben und Zusammenleben ausrichten können. 

Für ein friedliches Zusammenleben (eine sinnvolle gemeinsame Vorstellung)  benötigten wir eine gemeinsame, sinnstiftende Ordnung. Diese gilt es zu entwickeln.

Die einzelnen Kapitel sind drei großen Teilen untergeordnet: 

1.Absturz
2.Reset 
3. Neustart.

Im ersten Abschnitt wird gezeigt, dass das Informationszeitalter zu einem Zeitalter um sich greifender Verwirrung geworden ist. Es drohe die Gefahr, dass uns die Informationsflut mitreiße und wir vom aktiv kommunizierenden Menschen zum Objekt fremder Interessen werden. Die Überflutung des Gehirns mit Informationen habe zur Folge, dass Gefühle, Vorstellungskraft, Entdeckerfreude, Neugier und ganzheitliches Denken verloren gehen. 

Der Algorithmus von Google beispielsweise entscheidet, welche Botschaften wir empfangen und diese Botschaften würden dann als Informationen begriffen. Der Algorithmus werde so zum Wegweiser. 

Die Welt sei durch die globalen, unmittelbaren und individualisierten Kommunikationsmöglichkeiten zu einem erdumspannenden Marktplatz geworden, auf dem jeder einzelne Anbieter und Kunde, Ware und Konsument zugleich sei. Wer in der digitalen Welt die Augen aufmacht, kann dem nur zustimmen.

Die Selbstdarstellung im Internet führe zur Egotalisierung unserer Wahrnehmungswelten. Es seien keine Gemeinschaften, die auf ihren Bildschirm schauten, sondern Ansammlungen digitalisierter Einsamkeiten. Jeder befände sich in seiner ganz persönlichen Erfahrungs-und Wahrnehmungswelt. Das digitale Ich werde zunehmend zur Ersatzidentität. Was das im Einzelnen heißt, wird ausführlich erläutert. 

Die erwähnte Einsamkeit sei eine tödliche Gefahr, wie Dutzende von Studien belegen. Wir Menschen benötigten Verbundenheit und diese gäbe es traditionell in zwischenmenschlichen Begegnungen und Erfahrungen. Genauso ist es. 

Thematisiert werden künstliche Intelligenzen, die den Informationsmarkt in den sozialen Medien steuern, auch Fake News sind ein Thema und die Klicks, die laut der Autoren die Währung der digitalen Welt sind. Der Markt der Informationen folge Marktgesetzen. Dabei sei das Kerngeschäft der Großhandel mit Informationen, verpackt in Informationsangeboten. Informationen ohne emotionale Wirkung hätten auf dem Informationsmarkt keine Chance. Grund: Sie berührten nicht. Und was uns nicht berühre, das würden wir nicht annehmen. 

Die kleinen Momente großer Menschlichkeit gingen im Nachrichtenwesen verloren, wenn nur noch Agenturnachrichten seitens der Onlinemedien verbreitet werden. Dies aber sei der Fall, weil es um Zeitnahes bzw. Schnelligkeit gehe. Der Informationsmarkt verkaufe Wahrnehmungswelten. Sofern vermeintliche Informationen widersprüchlich seien, werden selbsternannte Experten (Influencer) herangezogen, um Meinungen in die gewollte Richtung zu biegen. 

Teil 2 zeigt, was in einer Flut von Information hilft, nicht die Orientierung zu verlieren. Hier geht es um Rückbesinnung auf das, was Informationen tatsächlich sind und was wir daraus gemacht haben. Es wird zudem den Fragen nachgegangen, welche Vorstellung unserem heutigen Informationsbegriff zugrunde liegt, zudem was wir als "Informationen" betrachten und wozu sie verbreitet werden. Man erfährt zudem, weshalb wir Menschen so sehr auf Austausch von verlässlichen Informationen angewiesen sind und schließlich wie Informationsverarbeitung im Gehirn funktioniert. Die Digitalisierung eröffne neue Horizonte für die Informationsverarbeitung und die digitale Transformation ersetze kognitive Fähigkeiten des Menschen. 

Ab wann wird unser Hirn verführbar und von welchen Informationen lassen wir uns berühren? Über das und vieles mehr schreiben die Autoren gut verständlich, um im 3. Teil dann aufzuzeigen, wie man sich aus den Fängen der Verwicklungen, die durch die Informationsflut entstanden sind, befreien kann.

Wichtig in diesem Zusammenhang ist ein anderer Umgang miteinander. Es geht darum, sich auf Augenhöhe zu begegnen und nicht darum, um Bedeutsamkeit und Anerkennung zu konkurrieren, denn diese seien mit ausschlaggebend für die digitale Informationsflut. 

Der Ausweg aus der selbst verschuldeten Unmündigkeit- alles unbedacht nachzuplappern, weil es die herrschende Meinung ist- sei selbst zu denken, auch wenn die von anderen erhoffte Anerkennung und Zuwendung gefährdet wird oder ausbleibt. Wer sein Autonomiebedürfnis unterdrückt, also lieber denken lässt und keine eigenen Vorstellungen vertritt, habe ein "aus eigener Bedürftigkeit gespeistes und besonders ausgeprägtes Anpassungsvermögen."

Informationen und Wissen alleine genügten nicht, die Probleme unserer Zeit zu lösen, notwendig sei der Mut, das Erkannte umzusetzen. Miteinander zu sprechen, ist hierbei wichtig. Wer nur Informationen konsumiert, lernt nicht zu denken und eigenständig zu handeln. Wir müssen uns hinwenden zu unseren Mitmenschen, begreifen, dass wir alle miteinander verbunden sind. Die digitale Welt darf nicht weiter entmenschlicht werden. Deshalb ist eine Verhaltensänderung im Umgang mit dieser Welt zwingend notwendig. Das machen die Autoren dieses Buches begreifbar.

Ein sehr wichtiges Buch.

 Maximal empfehlenswert.

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