Wie man dem Klappentext dieses bemerkenswerten Buches entnehmen kann, erwarb die Autorin Inge Huber vor sieben Jahren eine Pariser Bibliothek. Als sie deren Bestand sortierte und ordnete, entdeckte sie den verschollen geglaubten Nachlass von Maurice Edmond Sailland, bekannt unter dem Namen "Curnonsky".
Den Namen Curnonsky kannte ich bereits aus Gert von -Paczenskys Buch "Leere Töpfe, volle Töpfe"- Die Kulturgeschichte des Essens und Trinkens", das ich vor 16 Jahren voller Begeisterung las. Dort ist ein Bild des "Fürsten der Gastronomen" abgelichtet. Viel erfährt man über Curnonsky allerdings nicht.
Im vorliegenden Buch, das viele hübsche Fotos von Curnonsky, seinen Freunden und Geliebten enthält, erfährt man gleich zu Beginn wie Sailland zu seinem Pseudonym kam. Man liest über seine Kindheit und seine stürmische Jugend. Seine Großeltern besaßen eine "gigantische" Bibliothek, die für ihn als Kind stets ein abenteuerlicher Aufenthaltsort gewesen war, (vgl.: S. 30). Später besuchte er ein Internat, bestand sein Abitur als Eliteschüler des Collége Saint Maurille und entschied sich für das Studium der Literatur.
Curnonsky war ein Vielleser und entpuppte sich sehr schnell als brillanter Schreiber. In Paris hatte er alsbald mit den Intellektuellen Kontakt. Sein Interesse für alle Sinnesgenüsse erwachte jetzt und er war neugierig genug, das, was er kennen lernte, ausgiebig zu goutieren.
Man liest von seinen Erkundungen in den "Alten Hallen"- dem so genannten Bauch von Paris. In diese Gegend soll es ihn immer wieder gezogen haben. Er fühlte sich zu Hause in den Restaurants der Boheme, im Hallenviertel, dem "Carreau des Halles", aber auch in den Straßen von Montmartre.
Colette lernte er in einem der Pariser Salons kennen. Sie wurde eine sehr gute Freundin und er offenbar ihr erster Lektor. Zu diesem Zeitpunkt schrieb Curnonsky Pariser Stadtgeschichten. Man schätze diese niemals verletzenden Geschichten, die wie Huber schreibt, stets elegant, versöhnlich-humorvoll und großherzig angelegt waren.
Curnonsky war beliebt bei den Intellektuellen. Sie mochten seine scharfe, dabei aber gutmütige Intelligenz. Auch Freunde von Oscar Wilde besuchten ihn. Diese kamen immer in Begleitung der Mädchen des "Moulin Rouge", die ihnen nackt und sirenengleich die Getränke sowie ein raffiniert arrangiertes Nachtmahl reichten,(vgl.:S. 76). So entwickelte sich Curnonsky zu einem Lebemann, der oft Champagner aber mit Toulouse-Lautrec auch Absinth trank.
Die Künstlerkolonie Barbizon ist ein Thema. Das war eine kleine Malerkolonie am Rande des Waldes von Fontainebleau, wo die Kreativen unter sich waren. Curnonsky verehrte die Arbeiten der Künstlers Nadar. In Nadars Atelier lernte er übrigens Sarah Bernhardt kennen. Ich möchte an dieser Stelle nicht über all die Frauengeschichten berichten, über die man im Buch mancherlei Pikantes erfährt, sondern stattdessen Curnonskys umfangreiche Tätigkeit als Ghostwriter erwähnen, die ihm, wie anderen "Négres" schnell verdientes Geld für seinen nicht unaufwendigen Lebensstil einbrachten. In fast allen Pariser Illustrierten schrieb Curnonsky große und kleine Artikel unter circa zehn verschiedenen Pseudonymen (vgl.: S.116) und dann entdeckte er als einer der ersten Journalisten das Automobil als eine wichtige Errungenschaft des Jahrhunderts, wie man einem kleinen im Buch enthaltenen Originaltext entnehmen kann, (vgl: S. 116).
Curnonsky reiste als Reisereporter 1902 nach Indochina. Über seinen Aufenthalt dort berichtet Huber ebenso kurzweilig wie über das Firmenlogo von Michelin, dem Reifenmännchen "Bibendum", ein Geistesblitz Curnonskys. Man liest von der Freundschaft zwischen den Gebrüdern Michelin und dem intellektuellen Lebemann sowie über den Auftrag, den er von den beiden erhielt, mit einem weich gefederten und bequemen Auto als erster Gastrokritiker besonders empfehlenswerte, noch unbekannte Restaurants im Lande aufzuspüren und sie montags im Magazin "Bibendum" unter dem Pseudonym "Bibendum" zu veröffentlichen. Im Heft Nr. 631 setze Curnonsky seinen eigenen Namen unter seinen Artikel. Welche Folgen das hatte, können sie dem Buch entnehmen......
Nach dem 1. Weltkrieg machte sich Curnonsky seine großen Verehrung von Jean Anthelme Brillant-Savarin, dem Meisterkoch und Philosophen des Jahrhunderts bewusst. Er las dessen Werke und erkannte seinen neuen Auftrag. Über die Umsetzung des Auftrags erfährt man dann in der Folge Näheres. Soviel nur: In Zusammenarbeit mit Marcel Rouff entstand der 28 bändige Gastronomieführer "La France Gastonomique".
Curnonsky blickte am Ende seines langen Lebens als der bedeutendste Gastronomiekritiker auf ein erfülltes kulinarisches Wanderleben zurück und war nicht ohne Stolz Träger vieler Auszeichnungen sowie Ehrenurkunden und Präsident einer großen Anzahl gastronomischer Verbände und Clubs. Natürlich spricht Huber auch über seinen Tod im Jahre 1956. Bei einem solch lebensbejahenden, sinnesfrohen Menschen das Ableben zu erwähnen, ist mir fast unmöglich. Ich sehe ihn inmitten netter Menschen, plaudernd, mit schönen Frauen flirtend, ihnen zuprostend, die feinsten Speisen genießen und währenddessen fast spielerisch spritzige Texte über das Geschehen aufnotieren.
Ein interessantes Buch über einen interessanten Mann.
Lobend erwähnen möchte ich, dass man sich immer wieder an Orginaltexten erfreuen kann.
So beginnt Colette einen einen sehr schönen Brief mit den Worten "Lieber Cur, stimmt das, das wir Achtziger sind?".. und lässt diesen Brief mit den Zeilen enden.. "Ich wende mich dir in herzlicher Freundschaft zu, lieber Cur, der du dich wenig geändert hast: seit meinem ersten Roman bist du allein mir erhalten geblieben. Colette"
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Vorwort Curnonskys zu den 28 Bänden " La France Gastronomique":
"Wir haben Sie gebeten, uns ihre Erfahrung mitzuteilen, über die uns unbekannten Restaurants, Hotels und Cabarets und uns ihre Spezialitäten und Menüs mitzuteilen. Dieser Appell an das Publikum war unsere beste Garantie für unsere Unparteilichkeit. So können sie, die Leser sicher sein, das in unseren Berichten, nicht die geringste Werbung versteckt ist.........und sämtliche Berichte auf einer persönlichen Erfahrung beruhen."
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