Nachdem ich gestern die beeindruckende Autobiographie des Gründers und Aufsichtsratsmitglieds der dm-Drogeriemärkte Götz W. Werner rezensiert habe, möchte ich heute einen Prachtband über die internationale Geschichte der "Wunderwelt Warenhaus" durch eine Rezension vorstellen. Verfasst wurde dieses reich bebilderte Buch von der Soziologin Jan Whitaker und aus dem Englischen von Birgit Fricke, Dörte Fuchs und Jutta Orth übersetzt.
Bevor ich die informativen Texte zu lesen begann, habe ich mich erst einmal ausgiebig in die Bilderwelt vertieft und mich gefreut ein uraltes Foto des Pariser Edelkaufhauses Bon Marché zu entdecken. Grandios ist die Architektur der alten und neuen Kathedralen der Konsumkultur, über die es viel zu erfahren gibt.
Das Werk ist in 7 Kapitel untergliedert:
Von der Weltausstellung zum Warenhaus
Ein endloser Einkaufsbummel
Kathedralen der Konsumkultur
Buhlen um die Gunst der Kunden
Im Bann der Schaufenster
Die hohe Kunst der Präsentation
Der Kunde ist König
Wissen sollte man, dass sich Warenhäuser und Weltausstellungen gewissermaßen Hand in Hand entwickelt haben. Die Weltausstellungen zwischen 1855 und 1914 dienten Warenhäusern als Inspirationsquelle und lieferten Modelle für ihre Bauweisen und Präsentationsmethoden. Gefördert wurde das Wachstum der Warenhäuser auch durch Fortschritte im Transportwesen. In den Weltwirtschaftskrisen 1890er und 1930er Jahre wurden die vom Publikum geschätzten Kaufhäuser seitens kleiner Händler als besonders bedrohlich empfunden, weil die Warenhäuser ein größeres Werbebudget hatten, niedrigere Preise kalkulieren konnten und deshalb in vielen Segmenten den Markt beherrschten.
Das Bon Marché in Paris galt bis weit in das 20. Jahrhundert hinein als das größte Warenhaus der Welt, wurde aber schließlich von der Pariser Galeries Lafayette überflügelt. Gleichwohl waren es im 20. Jahrhundert amerikanische Warenhäuser, die Paris den Rang als Metropole der Warenhäuser abliefen.
Man lernt neben den alten Warenhäusern in den USA auch solche in England kennen, wobei beispielsweise Harrods 1849 noch ein kleines Lebensmittelgeschäft war. Auch deutsche Warenhäuser kommen zu Sprache. So entstand das erste Karstadt-Haus 1881 in Wismar,des Weiteren lernt man das Stammhaus von Leonhard Tietz in Köln visuell kennen, um schließlich mehr über Gründerinnen und Gründer zu erfahren, zumeist Menschen, die sich lieber außerhalb des Rampenlichts aufhielten. Nicht wenige waren erstaunlicherweise Außenseiter, ohne Macht, Kapital und Beziehungen. Gerade jüdischen Gründern schlug seitens von Beamten und Konkurrenten harte Feindseligkeit entgegen.
Nach dem Tod des Gründers wurden viele Warenhäuser als Körperschaften geführt und interessanterweise spielten zahlreiche Warenhausgründer und ihre Nachfolger in der Kunstwelt eine bedeutende Rolle, sei es als Sammler oder Museumsgründer, (vgl.:S. 55). Zahlreiche Gründer wurden mit Auszeichnungen überhäuft und der Sohn des Gründers Timothy Eaton sogar zum Ritter geschlagen.
Man erfährt, wie das Einkaufen modernisiert wurde. Das Warenhaus wurde zu einem Ort, an dem man sich an einer angenehmen Umgebung und der Gesellschaft vieler Menschen erfreuen konnte, während man schöne Dinge betrachtete, (vgl.S.64). Thematisiert wird, wie man Massen anlockte; man liest auch von Weihnachtsaktionen von Verkaufsspektakeln, wie etwa einer "Weißen Woche" in der Kaufhauskette von Ludwig Tietz, über das man näher unterrichtet wird. Nicht selten überbrückten Warenhäuser umsatzschwache Monate mit Verkaufsausstellungen.
Die Warenwelten werden zur Sprache gebracht. So hatte das Bon Marché etwa als Stoff- und Kurzwarenhandel begonnen und das Sortiment um Damenmäntel und – umhänge erweitert. Bemerkenswerterweise entzündete sich eine Art Kontroverse am Verkauf von Büchern in Warenhäusern, weil man meinte, dass dies den Werte der Bücher schmälere.
Über die Erweiterung des Sortiments in Warenhäusern wird man aufgeklärt und sieht Parallelen zu dem, was derzeit virtuell geschieht. Dabei wird man ein wenig wehmütig, wenn man sich all die schönen alten Konsumpaläste anschaut, die in unserer neuen Welt dem Untergang geweiht sind. Grund genug, sich dieses Buch in die hauseigene Bibliothek zu holen. Nichts geht über schöne Erinnerungen.
Über die große Ära der Warenhausbauten liest man Wissenswertes und kann sich aufgrund vieler Fotos einen Eindruck verschaffen, wie die Architektur dieser Paläste einst ausschaute. Beeindruckend in diesem Zusammenhang ist die imposante Art- nouveau-Glaskuppel der Galeries Lafayette in Paris. Art nouveau und Jugendstil, aber auch die Ende des 19. Jahrhunderts entwickelte Stahlskelettbauweise werden thematisiert, auch die Architektur modernerer Zeiten bleibt in der Betrachtung nicht ausgespart, so etwa die Galeria Kaufhof in Frankfurt am Main. Ein schönes Gebäude.
Nicht uninteressant sind die Werbestrategien, so auch in Zeitschriften und Zeitungen, später im Radio oder Fernsehen, über die man hier mehr erfährt und schließlich die Schaufensterdekorationen, die als Indikator des Zivilisationsgrades galten. Schaufensterauslagen waren die grundlegende Form der Werbung. Man bediente sich der Repräsentationstechniken des Theaters. Oft agierten arbeitslose Bühnenbildner als Schaufensterdekorateure.
Was alles man bot und bietet, um den Kunden fühlen zu lassen, dass er ein König ist, ist wahrlich spannend zu lesen. Zum Schluss wird gefragt, was geschehen wird, wenn die Warenhäiser nicht mehr existieren und was an ihre Stelle rücken könnte? Wir wissen es bereits, denn wir befinden uns ja schon in der Alternativwelt, sei es als Kunden oder Schaufensterdekorateure. Aber nicht zu voreilig. Es gibt da noch andere Möglichkeiten. Darüber in meiner nächsten Rezension mehr.
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