Caro Matzko, die Autorin dieses Buches, ist u.a. Journalistin und Moderatorin bei Podiumsdiskussion wie auch im Radio und Fernsehen.
Auf den ersten beiden Seiten ihres Werks ist eine Vielzahl persönlicher Fotos zu sehen, deren Motive im Buch eine Rolle spielen.
Die Publikation ist ein etwas eigenwilliger verfasster, autobiografischer Bericht, der den Untertitel trägt: "Warum ich an den Ort reiste, von dem mein Vater einst fliehen musste."
Caro Matzko, 1979 im schwäbischen Ulm zur Welt gekommen, erzählt von ihrer Sozialisation in einem Elternhaus ohne schwäbische Wurzeln. Ihr heute 90 jähriger Vater wurde im Ermland in Ostpreußen geboren, die Mutter in Westfalen. Die Familie wurde geprägt von der Vertreibung ihres Vaters im Alter von 10 Jahren aus Osterode in Ostpreußen, wo dessen Eltern ein Hotel besaßen. Ihr Großvater fiel in Russland kurz vor Kriegsende. Die Wut ihres Vaters aufgrund des Traumas wegen der erlebten Ereignisse nicht nur in Ostpreußen, sondern auch später in der DDR, aus der er floh, überträgt sich auf Caro, ohne dass sie diese Wut genau zu deuten vermag. Auf was genau ist sie wütend?
Caro, ein strebsames, intelligentes Mädchen mit sehr guten Schulnoten, beginnt während der Pubertät Nahrung zu verweigern, wird magersüchtig und in einer Klinik vor dem Hungertod gerettet. Für ihren Vater, der als Kind während der Vertreibung hungern musste, ist Caros Essensverweigerung ein Affront.
Caro, die zu diesem Zeitpunkt mit ihren Eltern im bayrischen Neu-Ulm lebt, fühlt sich nirgendwo zugehörig und erklärt später ihren Bekannten nur bedingt zutreffend, ihr Vater sei ein Flüchtling, weil das Wort Heimatvertriebener Wut in ihr auslöst, da das Wort den "Mythos Ostpreußen", der in ihrem Elternhaus wie eine Glocke über allem liegt, befeuert und das Loslassen verhindert, um so das damit verbundene Trauma zu heilen.
Caro entscheidet sich gemeinsam mit Ehemann und Tochter eine Reise über die Wege ihres Vaters von Osterode in den Westen, retour zu unternehmen, um so eventuell mit dem Trauma-Thema abschließen zu können. Osterode soll kein Sehnsuchtsort bleiben, der zu Zerwürfnissen zwischen ihr und ihrem Vater, einem glühenden AfD-Anhänger, führt.
Während die Tochter, ganz Kind ihrer Zeit, zahlreiche Psychotherapien hinter sich hat, ist ihr Vater nach wie vor - wie die meisten Kriegskinder seiner Generation- nicht therapiert und lebt seine unverarbeitete kindliche Ohnmacht in Wutanfällen aus.
Caro Matzko fügt in ihrem durchaus unterhaltsamen Reisebericht historische schlimme Fakten aus den Zeiten der Vertreibung ein und verdeutlicht, dass ihr Vater als Kind in tiefe Abgründe schauen und lernen musste, wozu Menschen imstande sind. Sie fragt, was dies mit den Kriegskindern damals und auch heute macht. Aber auch, was mit der Generation nach ihnen, "die mit traumatisierten Eltern umgehen muss- oder durch die wundersamen Hebel der Epigenetik das Trauma vererbt bekommt."
Sie erwähnt ein Buch eines Kinderarztes, das erklärt, weshalb Erziehung Gesinnung prägt und vielleicht auch verdeutlicht, weshalb ihr Vater zu dem Menschen geworden ist, wie die LeserInnen ihn im Buch kennenlernen, mit all seiner Verletztheit und Wut zugleich.
Caro hat ihre Wut auf der Reise überwunden, kann sich über das neue Ostroda, das als Reggae-Hauptstadt Polens gilt, freuen, während ihr Vater, dessen Geschichte sie erzählt, über den Stein und die Muttererde, die sie ihm von der Reise mitbringt, mehr als nur berührt ist, zu alt und sentimental, um seinen Kindheitsschmerz zu vergessen, zu hochbetagt, um sich noch in die Hände von Traumaexperten zu begeben. Schade eigentlich!
Sehr empfehlenswert
Helga König
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