Dieses Blog durchsuchen

Rezension: Das Gesetz der Herde- Gerd Ganteför - Edition Zeitblende

Autor dieses Buches ist Prof. Dr. Gerd Ganteför. Er ist Experimentalphysiker und befasst sich in diesem Werk in 9 Kapiteln mit dem Gesetz der Herde. Konkret hat er sich ausgehend von den Elementarteilchen mit dem Gruppen-, Schwarm- und Herdenverhalten bei Tieren und Menschen auseinandergesetzt. Aufgefallen sind ihm bemerkenswerte Parallelen zwischen der unbelebten und belebten Natur sowie den Menschen. 

Man erfährt zunächst Näheres über Tiergemeinschaften. Obschon Tiere weitgehend instinktgesteuert sind, besitzen sie zahlreiche Verhaltensweisen, die an Menschen erinnern. Ähnlichkeiten sind vor allem feststellbar bei den Merkmalen: Hierarchie, Machtstreben, Kontrolle und Unterwerfung. 

Der Autor fragt nach, wie dominant archaische Instinkte dieser Art überhaupt sind und ob wir mit unserer Intelligenz diese Instinkte  beherrschen können. Über die Entwicklung der Intelligenz wird man aufgeklärt. Dabei waren der aufrechte Gang und Werkzeuggebrauch die ersten Indizien für eine erwachende Intelligenz. Der eigentliche Entwicklungsschritt vom Tier zum Menschen aber war die Beherrschung des Feuers. Eine entdeckte Feuerstelle mit Steinartefakten und Küchenabfällen in Israel ist 790 000 Jahre alt. 

Auch die Entwicklung der Sprache wird thematisiert. Diese muss erlernt werden und erfordert eine hohe Intelligenz, zudem ein gutes Gedächtnis. Über die Zunahme des Gehirnvolumens, auch über die Facetten der Intelligenz und über den Aufbau des Gehirns bleibt man nicht uninformiert, liest über die fünf Arten der Intelligenz, wobei Kreativität und kritisches Denken die höchste Form von Intelligenz verkörpern. 

Erschreckend, dass die Wissenschaft mittlerweile Methoden erfunden hat, um Menschen am kritischen Denken vorbei zu manipulieren. Für diese Technik, genannt "Nudging", wurde im Jahre 2017 der Wirtschaftsnobelpreis verliehen. 

Dann liest man über die Geschichte der Kommunikation, erfährt wie Bakterien miteinander reden, auch wie Zellen zusammenarbeiten und Tiere miteinander kommunizieren können. Daraufhin werden die fünf Revolutionen der Kommunikation erläutert. Gemeint sind: Die Sprache, die Schrift, der Buchdruck, Radio und Fernsehen sowie das Internet. Der Buchdruck, auch Radio und Fernsehprogramme sind Einbahnstraßen, während das Internet aus Nutzer Sender und Empfänger zugleich macht. Ein wesentlicher Vorteil ist das selbstständige Handeln, denn der Nutzer surft aktiv, angetrieben von Neugier und Abenteurergeist. Zudem erfordert das Erstellen eigener Posts Eigeninitiative und Unternehmergeist. Die Nachteile des globalen Internet werden natürlich auch aufgezeigt. Um diese wirklich zu begreifen, benötigt man kritisches Denken, das immer wieder subtilen Angriffen ausgesetzt ist. 

Im 5. Kapitel wird ermittelt wie viel Herdentier in uns steckt, wie groß der Drang zur Gemeinschaft tatsächlich ist. In Testreihen haben Verhaltensforscher genau analysiert wie das Verhalten einzelner Personen in einer Gruppe sich verändert. Dabei wurde klar, dass es sehr schwer ist, gegen die Mehrheit der Gruppe zu handeln, selbst wenn diese falsch liegt. Die meisten Probanden beugen sich dem Gruppendruck, obschon sie nur zu 20% wirklich der Meinung sind, die sie als Mitläufer vertreten. 

Man erfährt darüberhinaus Näheres über die archaischen Wurzeln des Herdentriebs und über die Aggressionshemmung in der Natur. Ein zu hoher Aggressionslevel macht es möglich, dass eine Art ausstirbt. Wenn ein Tier mehrfach Rangordnungskämpfe verloren hat, wird es unterwürfig, mutlos und ängstlich. Die Verhaltensänderung geschieht durch Hormonveränderung. Bei Menschen, die in kritischen Phasen ihrer Entwicklung gedemütigt werden, stellt sich der Hormonhaushalt ebenfalls  dauerhaft auf "Verlierer" um. Diese Personen werden von ihren Mitmenschen spontan als untergeordnet angesehen. Bei diesem Erkennen handelt es sich um eine archaische Fähigkeit. 

Man liest von Auswüchsen von Aggressionshemmung, die durch lang anhaltende Demütigung entstehen, um sich schließlich mit diversen Komponenten des Herdentriebs näher zu befassen. Hier werden zur Sprache gebracht: Gemeinschaft und Aufgabe Hierarchie, Anerkennung und Überlegenheit Macht und Kontrolle, Gefolgschaft und Gleichschaltung, Intoleranz und Feindbilder.

Weiter wird thematisiert wie sich der Herdentrieb auf die Gesellschaft auswirkt. Es wird gezeigt, dass in totalitären Systemen die Merkmale des Herdentriebs sich bestens einpassen, jedoch höhere Formen der Intelligenz mit totalitären Gesellschaftsformen nichts gemein haben. Die Demokratie sei die bislang einzige Gesellschaftsform, die der Intelligenz gerecht wird, weil sie das Umfeld bietet, das kritisches Denken und Kreativität fördert. 

Weiter wird gezeigt wie die Demokratie durch den Herdentrieb bedroht werden kann. Populismus und Polarisierung, Dogmatismus, Egoismus, Bürokratisierung, die Alterung der Demokratie, der Verlust der Mission, der Utopie und Gemeinschaft und weitere Gefahrenquellen, die auf dem Herdentrieb beruhen, sind die  fatalen Verursacher der Bedrohung. 

Kritisches Denken, Gemeinschaftsgefühl und bürgerliches Engagement stabilisieren und fördern die Demokratie. Von daher müssen dahingehend Menschen geschult werden. Wie das möglich ist, wird auch gezeigt. Dass Ächtung des "Nudging", der Methode zur Manipulation der Bürger durch subtile Methoden der Verhaltensökonomie dazu gehört, dürfte jedem klar sein. Reflektiert werden einzelne Punkte zur Stärkung des Gemeinschaftsgefühls und wie man konkret mehr Demokratie leben kann, um diese zu stabilisieren. Wichtig ist, dass man das Internet als Chance begreift, kritisches Denken in der Schule trainiert, Meinungsvielfalt fördert und vieles verändert, was dem Gesetz der Herde nützlich ist,  für den aufgeklärten, freien Menschen aber das Aus bedeuten kann. 

Maximal empfehlenswert.

Helga König

Im Fachhandel erhältlich.
Onlinebestellung Edition Zeitblende  oder Amazon
Das Gesetz der Herde: Von Primaten, Parolen und Populisten - Macht und Unterwerfung bei Tier und Mensch

Rezension: Eine Frau wird älter- Ulrike Draesner

Ulrike Draesner zählt zu den profiliertesten deutschsprachigen Gegenwartsautorinnen. Die 56 jährige Schriftstellerin wurde für ihre Romane und Gedichte mehrfach ausgezeichnet. Im vorliegenden Buch befasst sie sich mit dem Älterwerden von Frauen und wie man damit am besten zurechtkommt, fernab von den gängigen Klischees und kränkenden Erfahrungen aufgrund des Nicht- mehr –jung-Seins. 

Die Autorin hat eine solche kränkende Erfahrung mit ihrem Lebenspartner gemacht als sie bereits in ihrem 6. Lebensjahrzehnt stand. Diese Erfahrung scheint sie mittels des Buches zu verarbeiten, wobei die in die Brüche gegangene Beziehung, nicht ständig thematisiert wird, aber für den aufmerksamen Leser immer mitschwingt. 

Die Schriftstellerin erzählt von ihren Erlebnissen mit alternden Menschen in ihrer Kindheit und Jugend in ihrer Familie,  berichtet von den altersbedingten Veränderungen, die sie an ihrem Körper wahrnimmt, von dem Totschweigen der Menophase allerorten und dem verkrampften Umgang mit dem Älterwerden  besonders von Frauen. 

Für sie heißt die Frage: "Wie verstehe ich mich in der Entfaltung der Zeit, die ich noch haben mag, wenn es nicht um ein Abwärts nach einem Aufstieg geht?" Gemeint ist "ein planes Fortschreiten in der Zeit als Möglichkeit, als Mensch Facette um Facette ins Leben zu treten."

Nach Auffassung der Autorin war es für Menschen von einst problemloser, "der eigenen Gestalt kontinuierlich weitere Farbe, einen zusätzlichen Aspekt hinzuzufügen." In diesem Zusammenhang habe man früher von der Gnade es Alters gesprochen. Diese aber scheint es nicht mehr zu geben.

Ulrike Draesner hat sich daran bereits gewöhnt, dass ihr Innen- und Außenbild auseinanderklaffen. Sie bemerkt, dass das innere Alter sich bewegt, wenn sie es erlaubt, ohne es von vornherein festzuschreiben. Sie stellt fest, dass mit fortschreitendem Alter, ihre Vorfahren in ihrem Gesicht sichtbar werden und will sie erscheinen lassen. 

Sie weiß, dass Alter sich vollzieht und jeden trifft, hormonale Veränderungen ein Teil davon sind. Sie weiß aber auch, dass diese Jahre eine Frau nicht definieren. Wieso aber kommt sie auf die fixe Idee, dass Frauen für Männer aufgrund ihrer fortgeschrittenen Alters unsichtbar werden? 

Sind diese Vorstellungen es, die Frauen in chirurgische Runderneuerungen treiben? Sie schreibt, was sie unternimmt, um ihren Körper fit zu halten, auch wo ihre Grenzen liegen. 

Ihr  nachdenklicher Text liest sich stets flüssig, obschon man in ihren Gedanken unterschwellig die Irritation einer zutiefst gekränkten Frau erkennt. Sie ist intelligent, schön, wird es auch noch in 20 Jahren sein. Männer werden sie nach wie vor attraktiv finden, doch sie selbst kann das offenbar nicht glauben, weil sie sich mit den Augen ihren Verflossenen sieht, wie es scheint.. 

Sie schreibt, "Wechseljahre rühren an unserer Sterblichkeit". Wieso denn? Frauen können nach den Wechseljahren theoretisch noch 60-70 und mehr Jahre leben. Die Frage der Sterblichkeit stellt sich zu diesem Zeitpunkt noch nicht wirklich. Wenn eine Frau das Gebären von Kindern nicht in den Mittelpunkt ihres Lebens stellt, dann kann sie spielend leicht einen anderen Weltbezug herstellen und das Ende der Wechseljahre als Aufbruch in etwas Geistiges erleben.

Gefallen hat mir, dass die Autorin sich an ihre 98 jährige, verstorbene Tante erinnert, die so anders war  als das Angstbild vieler Frauen, die Furcht vor dem Altern haben: "Aus ihrem Körper schien eine Art Harmonie zu dringen. Sie verlieh ihrem Gesicht, trotz aller Falten und Alterszeichen, wie ihren Bewegungen ein Ebenmaß, das man nicht anders als Schönheit wahrnehmen konnte."

Was ist wichtig?  Seinen eigenen Weg zu gehen und die Vergänglichkeit als gegeben zu akzeptieren,  präsent zu sein. Dann  gibt es auch keine Unsichtbarkeit.

Onlinebestellung: Penguin oder Amazon
Eine Frau wird älter: Ein Aufbruch