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Rezension: Peter J. König: Nie die Lust aus den Augen verlieren- Lebensthemen- Ulrich Wickert- Hoffmann und Campe

Ulrich Wickert besonders vorzustellen, heißt eigentlich "Eulen nach Athen tragen". Und doch ist es eine Hommage an ihn, seine journalistische und schriftstellerische Tätigkeit noch einmal Revue passieren zu lassen, so wie sein neustes Buch: "Nie die Lust aus den Augen verlieren" es höchst interessant vermittelt. Wickert gilt noch heute, obwohl schon einige Jahre seiner beruflichen Tätigkeit als Moderator der Tagesthemen in der ARD passé sind, als der Journalist, den die Deutschen mit am meisten lieben und vertrauen. Dies liegt nicht allein an seiner entspannten, ruhigen und bisweilen ironischen Art, der weltläufige Journalist hatte zumeist ein gutes Näschen für aktuelle Themen in Politik und Kultur besessen, um dies seinen Zusehern und Zuhörern anschaulich zu vermitteln. 

Ulrich Wickert ist Weltmann und als solches ist er prädestiniert die großen Zusammenhänge zu erkennen und sie aus seiner Warte aus zu erklären. Seine journalistischen Stationen haben ihn rund um den Globus gebracht, ob in die USA, nach China, Frankreich oder sonst wo hin. Als Sohn eines bekannten Diplomaten hat er das Kosmopolitische mit der Muttermilch eingesogen, und selbst im diplomatischen Dienst anzuheuern, schien vorprogrammiert. Sein Studium der Politischen Wissenschaften und der Juristerei in Bonn war da nur eine notwendige Zwischenstation, die ihm aber bewusst machte, dass die Neugierde und diese zu stillen sein eigentliches Ziel war. So landete er nach bestandenem Examen und auf der Suche nach einer bezahlten interessanten Tätigkeit beim WDR in Köln und als freier Mitarbeiter bei der Sendung "Monitor", dem Beginn seines Fernsehschaffens. 

Publiziert hat Ulrich Wickert schon mit 14 Jahren, als er als Schüler in Paris einen Artikel über den Eiffelturm verfasste. Hier in Paris begann auch seine Liebe zu dieser Stadt, den Franzosen und Frankreich zu wachsen, die ihn nie mehr losgelassen hat. So kam es, dass in seinem Herzen zwei Lieben sich verbanden, zwei Kulturen ihn geprägt haben, die deutsche und die französische. Wir alle kennen seine wunderbaren Reportagen über das Leben in Frankreich, seien es die mondänen aus Paris oder an der Cote d´Azur oder die stillen, nachdenklichen vom Leben in der französischen Provinz und ihren liebenswerten Besonderheiten, wobei man zu erkennen glaubt, dass es gerade diese Erfahrungen sind, die ihn zu einem französisch-geprägten Deutschen gemacht haben. Welch wunderbare Symbiose, zumal er jeweils die besten Seiten dieser Kulturen lebt. So ist es nicht verwunderlich, dass er als Vermittler und Botschafter beider Nationen geliebt und anerkannt wird. 

Die Franzosen schätzen besonders seinen Sinn für das "savoir vivre", sodass er für diese Intention von ihnen höchst dekoriert wurde, seine Aufnahme in der Gilde der allerbesten "Maitre fromager affineur" für französischen Käse zeugt davon und vieles anderes mehr. Die Deutschen hingegen schätzen sein kosmopolitisches Wissen, seine schriftstellerische Produktivität, die zu einigen Bestsellern geführt hat, aber auch seine entspannte Lockerheit, sein kühler Charme und seine angenehme Ausstrahlung, die nie anbiedernd, doch immer verbindlich ist. Die deutsch-französische Freundschaft ist sein Thema und er lebt sie bedingungslos. Wen wundern da, dass sich der frankophile Hanseat mit einer Bleibe auf den Hügeln in der Nähe von Vence oberhalb der Cote d´Azur geerdet hat. 

Hier spürt er dem Zeitgeist nach, der die einfachen Franzosen so umtreibt. Die großen politischen Strömungen erfährt er von seinen vielen Freunden aus der Zeit als er Fernsehkorrespondent in Paris war oder auf offiziellen Einladungen der französischen Staatsspitze. Ulrich Wickert ist auch mit fünfundsiebzig ein überaus gefragter Mann, sei es in Talk-Shows, bei Symposien oder bei Staatsbesuchen französischer Präsidenten in Deutschland oder wenn der Bundespräsident oder die verschiedenen Kanzler oder die Kanzlerin in Paris zur Visite weilen. Wickert ist dann stets ein gern gesehener Gast, und es ist ihm immer ein Anliegen, seine Eindrücke aus der Sicht eines "Deutsch-Franzosen" zu vermitteln. Seine Leidenschaft für Kriminalromane hat er nicht alleine durch das Lesen befriedigt, nein er hat selbst welche geschrieben, gleich sechs davon, höchst erfolgreich, und alle handeln vom Pariser Untersuchungsrichter Jacques Ricou, einem Individualisten, Wickert nicht unähnlich.

In Wickerts neustem Buch "Nie die Lust aus den Augen verlieren", zeigt bereits der Titel, wie der Journalist tickt. Seine Maxime: Bei allem Verdruss des täglichen Lebens sollte man jedoch niemals die Lust am Leben in all seinen wunderbaren Facetten außer Acht lassen. Da sind die Franzosen den Deutschen bei weitem voraus, und doch ist die Erkenntnis "Leben und leben lassen" ein unverzichtbares Element in den Augen dieses erfahrenen Europäers. Dass dieser auch die Kehrseiten kennt und benennt, hat er in einigen sehr beachteten Sachbüchern thematisiert. Dabei liegt Ulrich Wickert Ethik und Moral, Gesetzestreue und Philosophie zutiefst am Herzen, seine intellektuellen Ausführungen in seinen Büchern zeugen davon. Das aktuelle Werk nun gibt einen wunderbaren Einblick in das facettenreiche Schaffen des Autors. 

Episoden aus seinen Büchern werden verbunden mit bisher nicht veröffentlichten Erzählungen und Erlebtem aus seiner Zeit als Korrespondent an verschiedenen Orten. Interviews z.B. mit Politikern wie Richard von Weizäcker und Schriftsteller wie Günther Grass zeigen die Vielseitigkeit des Journalisten und auch ganz besondere Geschichten, wie etwa das Leben des deutschen Arztes, der zum Führungskader der chinesischen Volksversammlung avancierte, sind absolut lesenswert. Ganz besonders beeindruckend sind seine philosophischen Gedanken die im Buch einen breiten Raum einnehmen, immer auch in Anlehnung an seine früher verfassten Einlassungen. 

So ist eine sehr beachtliche Bandbreite von Ullrich Wickerts Leben und seinem Denken hier entstanden, die zeigt, das bei aller Lust zum Leben die Tiefe des Denkens und der ethischen Besinnung nie zu kurz gekommen sind. Und da das Ganze im Buch nie belehrend und doch immer auch kurzweilig erzählt wird, ist es einfach nur spannend und anregend Ulrich Wickert zuzuhören.

Sehr empfehlenswert 

Peter J. König 

Überall im Fachhandel erhältlich 

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Rezension: Gerade gestern- Vom allmählichen Verschwinden des Gewohnten- Martin Meyer-Hanser

Der Autor dieses hervorragenden Buches ist der Schweizer Martin Meyer, der bis 2015 das Feuilleton der Neuen Züricher Zeitung leitete. Bereits 2004 erhielt er den Europäischen Essay-Preis Charles Veillon. Im Hanser Verlag sind einige bemerkenswerte Bücher von ihm erschienen.

Geboren wurde Martin Meyer 1951. Er kann also  schon recht lange auf den sich ständig verändernden Zeitgeist zurückblicken und scheint daraus eine Art Hobby gemacht zu haben.

Wie man der Vorbemerkung zu der hier vorliegenden spannend zu lesenden Textsammlung entnehmen kann, versucht das Werk zwischen Nostalgie und Gegenwartspathos eine Mitte zu finden. Dabei schreibt Martin Meyer so, dass man immer wieder innehält und begeistert ist wie er Vergangenes in seinen Sätzen ohne Larmoyanz einfängt.

Loslassen ist heute nicht einfach, das erfährt man im Essay "Zeitverlust" ganz nebenbei. Hier beginnt Meyer seinen Text mit den Worten: "Der entfesselte Narzissmus, der in den Spiegelbildern kristallisiert, die die bild- und tongebenden Digitalverfahren ermöglichen, wäre kein massiver Grund zur Sorge, wenn er nicht eine weitere der klassischen Todsünden bedienen würde: die Gier oder Sucht, davon nicht loslassen zu können und die Umwelt zu Dauerzeugen dafür aufzurufen."

Für den Autor sind handgeschriebene Briefe unendlich wertvoll geworden, weil sie Höhepunkte der Kommunikation zwischen Menschen darstellen, obschon sie für uns heute fast künstlich erscheinen und man in ihnen verdeckte Motive vermutet in unserer schönen neuen Welt des entfesselten Narzissmus, dem Dialoge offenbar fremd sind.

Martin Meyer besinnt sich vieler Dinge, die an Bedeutung verloren haben. Ganz klar, der Zeitgeist hat an Tempo zugelegt und wir mit ihm. Unmöglich die Texte an diesen Stelle im Einzelnen unter die Lupe zu nehmen. Man braucht sie nicht chronologisch zu lesen, aber selbst wenn man es tut, findet man sich sehr oft selbst wieder, erkennt wie man war, was man liebte und wie man heute nicht mehr  sein kann.

Nichts verändert uns mehr als der Zeitgeist. Sich ihm zu entziehen, ist noch nicht einmal möglich, wenn wir auf einer einsamen Insel leben, seit der Klimawandel uns zwingt, egal wo wir  uns hin verkrochen haben, auf die durch ihn bedingten Veränderungen vielschichtig  zu reagieren.

Dass Charismatiker dem Gestern angehören, wusste ich bislang noch nicht, wohl aber dass die Schönschrift ganz ähnlich wie der handgeschriebene Brief den Schlager "Marina, Marina" keine Lichtjahre überdauern konnten. Warum?  Vermutlich weil  die Wertschätzung des Du ein Ladenhüter geworden ist

Im Gegensatz zum Autor erhalte ich hin und wieder noch Ansichtskarten und freue mich über die Menschen, die entspannt und ohne Scham solchen alten Gewohnheiten nachgehen. Ansichtskarten zu versenden ist ja fast schon schrullig, aber man sollte bedenken: Schrulliges ist fast immer liebenswert.

Wer nicht schrullig, aber dennoch liebeswert sein möchte,  kann den Hula-Hoop kreisen lassen. Eine sportliche Übung steht nie im Verdacht gestrig zu sein, selbst wenn der Zeitgeist Kapriolen schlägt...

Empfehlenswert

Helga König

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Gerade gestern: Vom allmählichen Verschwinden des Gewohnten