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Rezension: Mitfühlen- Melanie Mühl- Hanser

Melanie Mühl ist Redakteurin im Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Die Autorin schreibt in diesem Buch, wie sie im Untertitel schon andeutet, über eine wichtige Fähigkeit in unruhigen Zeiten.  Damit bezieht sie bereits Position und bewertet diese Fähigkeit wie auch die Zeiten, in denen wir Leben, in einer Weise, die neugierig macht, weiterzulesen.

Antisemitismus und Islamfeindlichkeit erstarken und der Populismus blüht, schreibt sie zu Recht und es ist auch wahr, dass das gesellschaftliche Klima kälter und der Ton aggressiver wird. "Im Netz tobt ein Shitstrom den nächsten".

Shitstorm ist tatsächlich zur Normalität geworden, nicht weil die Nerven blank liegen, sondern weil es immer mehr Menschen gibt, die den Schmerz der Angegriffenen nicht mehr mitfühlen können. Der Niedergang des Mitgefühls, so Melanie Mühl, die soziale Verrohung und der unversöhnlich polemische Ton, der allen in der Öffentlichkeit entgegenschlägt und uns alle betrifft, sollte dazu führen, dass wir diese Entwicklung besser zu begreifen lernen.

Mitgefühl könne es ohne Anstand nicht geben. Mitgefühl sei die Grundlage einer gelingenden sozialen Kultur. Mitgefühl kann man - dies die gute Nachricht- kultivieren, es sei denn man ist ein Psychopath, dann kann man es nicht. 

Die Autorin erläutert den Unterschied zwischen Empathie und Mitgefühl. Beide Begriffe werden oft in einem Atemzug genannt. Sie sind allerdings nicht miteinander identisch. Im Gegensatz zum nur empathischen Menschen, möchte der mitfühlende handeln.

Die Autorin zitiert Paul Bloom, der den Unterschied wie folgt ausdrückt: "Empathie heißt, ich fühle das, was ein anderer Mensch fühlt, Mitgefühl bedeutet, ich kümmere mich um den anderen, ich sorge für ihn."

Melanie Mühl erwähnt viele kluge Autoren und bezieht sich in ihren Reflektionen zum Thema Mitgefühl  immer auch auf diese. So kommt  u.a. Hans Magnus Enzensberger zur Sprache und  auch die von mir sehr geschätzte Susan Sontag, deren Essay "Die Leiden anderer betrachten" ich vor einigen Jahren rezensiert habe und den Frau Mühl nicht grundlos erwähnt.

Die Theorie des "Homo oeconomicus"- auch sie bleibt nicht ausgeklammert, wonach der Mensch nur darauf abzielt, stets seinen Nutzen durch sein Tun zu erhöhen, gilt als veraltet, weiß die Autorin und wirbt überzeugend in ihrem abwägend, lobenswert eloquenten Buch für die tatkräftige Eigenschaft des Mitfühlens, durch die viel Gutes bewegt werden kann.

Durch Mitgefühlstrainig schafft man es, die Basiskompetenzen zu schulen, die jeder braucht, um eine verantwortlicher, toleranter Weltbürger zu werden. Ein solches Mitgefühlstraining an Schulen zum Pflichfach zu machen, wäre eine sinnstiftende Maßnahme für einen kultivierteren Umgang miteinander.Warum nicht jetzt damit beginnen? Morgen könnte es schon zu spät sein, wie Anstieg des Rassismus und Antisemitismus in diesem Land deutlich machen.  Morgen könnte 1933 sein und was dann?

Sehr empfehlenswert

Helga König

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Mitfühlen: Über eine wichtige Fähigkeit in unruhigen Zeiten

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