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Rezension: KAUFEN- Eine kleine Kulturgeschichte des modernen Einzelhandels in Deutschland-Callwey

Das vorliegende Werk nimmt den 100.Jahrestag der Gründung des Handelsverbands Deutschland zum Anlass die Geschichte des modernen Einzelhandels entlang der großen Veränderungen in der Wirtschaft, Politik und Gesellschaft nachzuerzählen und zum Schluss einen Blick auf dessen Zukunft zu richten, die bereits begonnen hat. 

Das reich bebilderte Werk ist in fünf große Abschnitte untergliedert. Diese bestehen jeweils aus diversen Kapiteln, in denen kompetente Fachleute sehr gute Beiträge zur Kulturgeschichte des modernen Einzelhandels verfasst haben. Bei den Abschnitten handelt es sich um folgende:

-Der Einzelhandel auf dem Sprung in die Moderne 
-Versorgung und Konsum im Dritten Reich
-Wirtschaftswunder, Wachstum, Wohlfahrtsstaat
-Vereintes Land, Vereinter Handel 
-Vor Ort im Netz und Jederzeit 

Die Geburtsstunde einer neuen Konsumkultur begann um 1900. In Warenhäusern wurden nun Preise ausgezeichnet. Das schaffte Vertrauen. Der moderne Handel in architektonisch interessanten Häusern mit großen Schaufenstern und modernen Einrichtungen wie Fahrstühlen und elektrischem Licht zog die Konsumenten an, verdrängte aber die traditionellen Läden damals nicht. 

Man liest von Konsumgenossenschaften und deren Grundidee, dass sich Konsumenten gleichberechtigt zusammenschließen und den Einkauf gemeinschaftlich tätigen. Bereits um die Jahrhundertwende entwickelten sich die ersten Konsumgenossenschaften zu einer Bewegung, die 1903 in der Gründung des "Zentralverbandes der deutschen Konsumvereine" mündete. 

Des Weiteren liest  man von den ersten Massenfilialbetrieben und Ladenketten, vom Aufkommen der Markenartikel wie auch von der allmählichen Akzeptanz von Werbung und kann sich alsdann in die Geschichte des Warenhauses vertiefen, das im Zuge der Industrialisierung begann und seinen Erfolg einer sich entwickelnden Massenkaufkraft verdankt wie auch einer leistungsfähigen Logistik und dem Wachstum moderner Großstädte. 

Man lernt Unternehmer wie Oscar Tietz und Heinrich Grünefeld kennen, der den Verband deutscher Einzelhändler gründete, liest von damals großen Warentempeln und von der Meierei C.Bolle in Berlin. Die Erfolgsgeschichte von Carl Bolle ist  besonders spannend geschrieben. Er schaffte es binnen weniger Jahre seinen Betrieb zur bekanntesten Meierei der Stadt zu machen, wurde sehr wohlhabend und investierte sein Vermögen in den Bau von Wohnhäusern, in denen seine Angestellten lebten. Zudem finanzierte er Kindererholungsheime und stellte sogar einen Pfarrer und Schwestern an, die sich um das Seelenheil seiner Mitarbeiter kümmerten. Mich erinnert er von der Grundeinstellung an Jakob Fugger, an einen Unternehmer also, der im Neoliberalismus nicht mehr vorkommt. 

Komsumgenossenschaften entwickelten sich ab der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts und hatten zu Ende der Weimarer Republik einen Marktanteil von 14 Prozent am deutschen Lebensmittelmarkt. 

Über die Entwicklung der Produktwerbung liest man viel Wissenswertes. Neue Berufsbilder, wie die des Gebrauchsgrafikers und Reklamefachmanns entstanden und die Zahl der Werbemittel nahm beständig zu. 

Thematisiert wird das Ende der Goldenen Zwanziger Jahre und der Kampf mit Entbehrung und Mangel in der sich gerade erst entwickelt habenden modernen Konsumgesellschaft. Alsdann wird die Versorgung und der Konsum im so genannten Dritten Reich zur Sprache gebracht. Berichtet wird über die Boykottmaßnahmen gegenüber den jüdischen Betrieben, zudem über die Zwangenteignungen und Schließungen zur Ausschaltung der Juden aus dem Einzelhandel. 

Auch über die Profiteure jener Jahre bleibt man nicht unaufgeklärt, liest von der Verbandsauflösung, sprich dem Ende der demokratischen Hauptgemeinschaft des Deutschen Einzelhandels und dem Verzicht aufgrund der Verknappung der Ressourcen in Kriegszeiten. 

Wie es dann nach dem 2. Weltkrieg weiter ging, wird spannend erzählt. Nach Hamsterkäufen, Bezugsschein und Schwarzmarkt folgen Wirtschaftswunder, Wachstum und Wohlfahrtsstaat. Über den Abschied von der Ladentheke und den Handelsformen im Wandel zu immer größerer Konzentration wird berichtet, auch über das Einkaufen in der DDR und die Werbung dort. 

In den 1960er Jahren begann dann die Zeit der Discounter und mit ihnen das Prinzip "billig". Dieses Geschäftsmodell setzte auf schnellen Umsatz und unschlagbar günstige Preise. Über die Macht der Marke wird man in der Folge unterrichtet und auch über moderne Verpackung, des Weiteren über die Entwicklung der Artikelnummerierungssysteme und den Beginn der Digitalisierung der Branche. 

Verbraucherschutz ist ein Thema und die Versandhäuser, dazu noch vieles andere mehr bis hin zum gesamtdeutschen Einzelhandel vor den Hintergrund einer tiefgreifenden technologischen Wandels. Ab Mitte der 1990er Jahre dann erlebt man die ersten Online-Händler und fortan verändert sich alles.

Nun erreichen die Angebote des Onlineshoppings alle Bevölkerungsschichten. Dabei setzt Amazon die Maßstäbe im Hinblick auf Sortimentsumfang, Preis, Lieferfähigkeit, Informationsfähigkeit und Verlässlichkeit. Händler in den Produktkategorien Elektronik Bücher aber auch Mode sind schon vom strukturellen Umbruch empfindlich betroffen, anderen Bereichen steht der Aderlass noch bevor. Ein Ende ist  noch nicht abzusehen, resümiert einer der vielen sehr kompetenten Autoren im vorliegenden Buch.

Wichtig zu wissen: Es gibt keinen Einzelhandel ohne Onlinehandel mehr. Wer mehr über die Wege und Zeiten im Onlinehandel informiert werden möchte, kann  in diesem Werk  sehr viel erfahren, auch wie Alexa, Google und Siri den Handel verändern. 

Was ist sicher? Die Grenzen zwischen analoger und virtueller Welt verschwimmen immer weiter. Der Point of Sale der Zukunft ist nicht mehr stationär oder digital- er verschmilzt zu einer Realität. so Thomas Fell, ein  Kenner der Branche und einer der brillanten Autoren in der vorliegenden kleinen Kulturgeschichte des modernen Einzelhandels in Deutschland.

Sehr empfehlenswert

Helga König

Im Fachhandel erhältlich

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Kaufen: Eine kleine Kulturgeschichte des modernen Einzelhandels in Deutschland


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