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Rezension: Kinderspiel- Glücksspiel-Kriegsspiel- #André_Postert- dtv

Der promovierte Historiker #André_Postert arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Hannah-Arendt-Institut in Dresden. In seinem vorliegenden Buch thematisiert er große Geschichte in kleinen Dingen wie er im Untertitel des Werks bereits bekundet. Fokussiert wird die Zeit von 1900-1945. 

Worum es geht? 

Um #Kinderspiel, #Glücksspiel und #Kriegsspiel, um ein Alltagsphänomen von Kindern und Erwachsenen also. Weil es ein Alltagsphänomen ist, können ganze Industriezweige und Branchen vom sprichwörtlichen Spieltrieb des Menschen noch immer leben. 

Spielzeug kann alles genannt werden, womit der Mensch spielt, daneben aber gibt es die Spielwaren, die eigens zum Spielen erfunden, produziert und gehandelt werden. Karl Groos übrigens war einer der Ersten, die sich um eine universale Spieltheorie bemühten. Sein Werk "Die Spiele der Menschen" erschien 1899. Besagte Theorie galt für Kinder und Erwachsene gleichermaßen. Aus dessen Sicht war Spiel etwas, das der Erprobung und Bewältigung des Lebens diente. Diese Idee, dass das Spiel des Menschen stets sinnvoll und zur Entwicklung seiner selbst nützlich sei, trägt bis heute das Fach Pädagogik. Diese Vorstellung widerspräche allerdings teilweise unserem Alltagsverständnis, denn gerade Erwachsene sehen darin oft eine Art Alltagsflucht, "frei, lustvoll und spannend" zugleich.

In England unterscheidet  man die Begriffe "Play" (Spiel als Tätigkeit) und "Game" (ein spezifisches Spiel mit Regeln). Spiel also ist etwas, das sich durch Freiheit und Abwesenheit von Zwängen auszeichnet, mithin etwas Kreatives, aber es kann eben auch eine Fülle fester Regeln haben, die man befolgen muss. 

Spiele und Spielsachen haben sich im Laufe der Geschichte verändert. André Postert zeigt in diesem Buch Spiele und Spielsachen und die Menschen, die sich damit befassten, speziell in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Es sind beispielsweise Pistolen, Schwerter, Panzer, Zinnsoldaten, ja sogar Nazi-Püppchen, auch Brettspiele, die Gewalt und Krieg verherrlichten und politische Ideologie vermittelten. 

Im Rahmen von  sieben Kapiteln wird man mit höchst sonderbaren Spielen vertraut gemacht und hier zunächst mit Spielen und Spielwaren in der Zeit des Ersten Weltkriegs. Man liest z. B. über die Mundharmonika, die ihren spektakulären Durchbruch als Massenprodukt im Ersten Weltkrieg hatte. Das Spielen wirkte Trübsinn und Melancholie entgegen und bot zudem Unterhaltung im Beisammensein, schreibt Postert. 

Nicht nur im Krieg erscheint das Spiel als eine Art Paralleltext, in den man vor dem Grauen der Realität flüchten kann, doch hier besonders. Selbst Schach war ein Spiel, das an Militärschulen eingesetzt wurde, weil man dort glaubte, man könne das Terrain auf dem Brett erkunden und fände so Lösungen für komplexe taktische Probleme. Kinder spielten "Schiffe versenken", spielten mit Zinnsoldaten und bekamen Fahnen, Trommeln, Trompeten, Gewehre zu Weihnachten geschenkt. Das Spiel mit Konflikt und Gewalt, so vermutete man später in der Pädagogik sei in der menschlichen Natur verankert. Destruktive Energien kommen als Spiel zur Entfaltung. Doch das Spiel mit dem Krieg verharmloste Gewalt und schürte damals bereits den Hass unter den Völkern.

Das Spiel als Spiegel der Zeit macht mit Modespielen, auch mit vergessenen Spielen vertraut. Man lernt Technikspiele aus damaliger Zeit kennen, natürlich auch die Modelleisenbahn. Puppen und Stofftiere wurden in Thüringen hergestellt, auch sie waren politisch nicht neutral. Plüschtiere sollten im Frieden bei kleinen Jungs den Spielzeugsoldaten ersetzen. All diese Plüschprodukte bedienten das Bedürfnis, das Harmonie und familiäre Besinnlichkeit dem politischen Chaos entgegensetzte. 

Dann gibt es noch das Spielzeug der Illusionen und jenes gegen Fortuna, das man nie gewinnen kann. Über illegale Spielklubs  aus jener Zeit erfährt man Näheres und über die fixe Idee von Spielern, man könne den Zufall berechnen. Der bedeutendste Intellektuelle des 20. Jahrhunderts Walter Benjamin war übrigens ein Spieler. 

Glückspiele in der NS-Zeit werden thematisiert, auch das Spiel mit dem Hakenkreuz und die Nazi-Puppenwelt werden fokussiert. Es wird in der Folge dann immer krasser. Bei den Nazis gab es sogar ein Reichsinstitut für Puppenspiel. Zudem gab es rassistische Spieltheorien und so viel Erschreckendes, dass man nicht glauben mag, dass es sich hierbei um Spiel handelte. 

Spiele und Spielzeug im Holocaust sind ein weiteres großes Thema und dann ist es wieder soweit, dass man von unendlicher Traurigkeit heimgesucht wird. 

Gottlob unterliegen Spiel und Spielzeug dem fortwährenden Wandel, denn sie spiegeln die Geschichte und die Veränderungen in der Gesellschaft. 

Bleibt zu hoffen, dass die Menschen der Zukunft über unser Spielzeug und unsere Spielwelten nicht allzu entsetzt sein werden,  über jene vorangegangener Generationen kann man es durchaus sein. 

Sehr empfehlenswert 

Helga König

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Kinderspiel, Glücksspiel, Kriegsspiel: Große Geschichte in kleinen Dingen 1900-1945

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