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Rezension: Ich und Du- Mein #Traum von #Gemeinschaft jenseits des #Egoismus- #Philippe_ Pozzo_ de_Borgo- #Hanser Berlin

Autor dieses sehr nachdenklich geschriebenen Buches ist Philippe Pozzo de Borgo. Der 1951 geborene Franzose war lange Zeit Geschäftsführer der Firma Champagnes Pommery. Seit 1993 ist er querschnittsgelähmt. Dies ist eine Folge eines schweren Gleitschirmunfalls. De Borgo lebt heute mit seiner zweiten Frau und mit zwei seiner vier Kinder in Marokko. 

"Ich und Du- Mein Traum von Gemeinschaft jenseits des Egoismus" ist nicht das erste Buch des Autors. Seine Autobiographie "Ziemlich beste Freunde" wurde als Buch und als Film ein großer Publikumserfolg. Da ich die Autobiographie nicht gelesen und den Film nicht gesehen habe, war ich überrascht,  eher zufällig auf ein solches Juwel gestoßen zu sein und twitterte, während ich las, einige Sentenzen aus dem Werk für interessierte Leser, so etwa den Satz: "Die Interessen des anderen zu teilen, lehrt uns zugleich, die Unterschiede zu akzeptieren und tolerant zu sein." So sehe ich das auch. 

Di Borgo hat ein sehr weises Buch geschrieben. Das deutet sich schon in den Anfangsüberlegungen an. Hier schreibt er, dass in unserer Gesellschaft das "Ich" vorherrsche, aber der Individualismus in die Sackgasse führe. Der Autor hat in leidvoller Erfahrung gelernt, dass man im Gespann von ICH und Du, also von WIR viele Probleme zu lösen vermag und eine Wir-Beziehung letztlich weitaus lebenswerter ist als all die leeren Versprechungen der Selbstverwirklichung, die für nicht wenige im Nichts ende. Deshalb auch ist es für ihn aussichtsreicher an den anderen zu glauben und Vertrauen zu riskieren als der Ideologie des Individuums nachzustreben, das für sich allein triumphieren wolle. 

Di Borgo stammt aus einer sehr wohlhabenden Familie und wollte dennoch oder vielleicht gerade deshalb als Kind stets alles haben. Erkannt hat er nach seinem Unfall, dass im Erwachsenenalter eine solche Einstellung auf eine verheerende Anspruchshaltung hinausläuft: "Immer alles, immer mehr, und zwar sofort!"

Er schreibt, er sei vor seinem Unfall überreizt, atemberaubend hyperaktiv, außerordentlich effizient gewesen, und dies alles mit einem Lächeln. Erkannt hat er, dass ständig Risiken einzugehen zum Selbstzweck werden und sich letztlich als Sackgasse erweisen. Di Borgo ist überzeugt, dass Lärm und Hektik zu Rücksichtslosigkeit und allen anderen Lastern führen. Stille also ist notwendig für eine Welt, in der man das Du entdeckt. 

Der ehemalige Manager schreibt über seinen klugen Großvater und erzählt Familiengeschichte. Sein Großvater hatte die Erbin von Moet&Chandon geheiratet, war im franz. Widerstand aktiv und ist der knapp der Hinrichtung durch die Nazis entgangen. Dieser Vorfahre hieß Robert-Jean de Vogüé. Bemerkenswert ist dessen entwickelte Unternehmensethik, die sich allerdings "bei den Finanzexzessen und der Unersättlichkeit der Aktionäre" heute nirgendwo wiederfindet. Die Sorge seines Großvaters galt der Gier der Aktionäre und Führungskräfte wie auch deren Unfähigkeit, die Entscheidungen und das Betriebsergebnis zu teilen, um das Überleben der Firma zu sichern. 

Der Enkel findet sich in den Gedanken seines Großvaters wieder, arbeitet hart in der Firma, doch dann endet seine brillante Karriere durch den Gleitschirmunfall. Nun war er ans Bett gefesselt. Neben ihm lag seine krebskranke erste Frau, die gläubige Beatrice. Über das Leben mit ihr kurz vor ihrem Tode berichtet der Autor und auch darüber, wie er allmählich zu seinen tiefen Erkenntnissen im Hinblick auf eine Gemeinschaft jenseits vom Egoismus gelangt. 

Er erkennt, dass es Sinn macht, völlig in der Gegenwart zu leben, wie wichtig es ist, Respekt voreinander zu haben und wie notwendig,  damit aufzuhören gegeneinander zu kämpfen, weil nur dies daran hindere, auf friedliche Art zu leben. Er erkennt weiter, dass das Nichtstun in das er gezwungen ist "ein unerhörter Reichtum" darstellt, denn wer pausenlos umherhetze sehe und höre nichts. 

Für ihn ist mittlerweile klar, dass die Sucht nach Erfolg Neid, Eifersucht und Egoismus erzeuge. Die Gesellschaft bringe uns in eine dauernde Wettbewerbssituation, in der in Wirtschaft und Gesellschaft, ein Kampf um Leben und Tod stattfinde. Voller Unruhe würden wir uns immerfort fragen: Er oder ich? Di Borgo fragt in diesem Zusammenhang “Wo bleibt da die Begegnung zwischen Dir und Mir? Wie kann es überhaupt eine Begegnung geben, wenn der andere nur als Risiko, als Gefahr oder Konkurrent wahrgenommen wird?"

Nähe und Herzlichkeit sind ihm wichtig, weil sie die Basis des Vertrauensverhältnisses bilden. Di Borgo denkt über Freundschaft und Gemeinschaft nach und empfiehlt, sich für echte Beziehungen Zeit zu lassen, damit sie nicht verwässern. Für ihn ist es ausgemacht, dass man das Ich und Du nicht unendlich vervielfältigen kann.

Der querschnittsgelähmte Philippe Pozo di Borgo weiß, dass Schwierigkeiten isolieren, aber er sagt, am Ende wachse man an ihnen. Er versucht dem Leser klar zu machen, dass Alter und Krankheit zwar entwaffnen, weil sie unsere Verletzlichkeit erhöhen, um auf diese Weise das wahre Wesen ans Licht zu bringen, aber letztlich diene dies dazu,  die Verhältnisse zurecht zu rücken und dies sei Teil der weltweiten Entwaffnung. 

Für ihn steht fest, dass es keine Kriege mehr gäbe, wenn Alter und Verletzlichkeit ins Zentrum gerückt werden. Dies ist ein bemerkenswerter Gedanke, über den weltweit diskutiert werden sollte. Wenn das Ende des Jugendwahns, die Welt entschleunigt und vielleicht sogar befriedet, dann sollte man sich zukünftig mehr auf Altersweisheit beziehen als das Credo der ewigen Jugend  abzunicken.

Sehr empfehlenswert. 

Helga König

Bitte klicken Sie auf den Link, dann gelangen Sie zum Hanser-Verlag und können das Buch bestellen. Sie können es aber auch direkt bei Ihrem Buchhändler um die Ecke ordern.http://www.hanser-literaturverlage.de/buch/ich-und-du/978-3-446-24945-5/



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